Umweltpolitische und Rechtliche Grundlagen

Umweltgesamtrechnungen sind in den Leitlinien der EU über Umweltindikatoren und ein grünes Rechnungssystem verankert. Ziel ist die bessere Abbildung der wechselseitigen Beziehungen zwischen Gesellschaft und Umwelt. 1996 forderte der Österreichische Nationalrat in einer Entschließung die Ökologisierung der traditionellen Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnungen. Im gleichen Jahr vereinbarte Eurostat mit den statistischen Ämtern der EU-Mitgliedstaaten, Module für Umweltgesamtrechnungen zu entwickeln. Mehr als 25 Jahre danach sind Umweltgesamtrechnungen ein etabliertes umweltpolitisches Instrument und ihre Ergebnisse finden Anwendung in maßgeblichen politischen Initiativen wie etwa dem Europäischen Green Deal oder den Umweltaktionsprogrammen der EU.

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Europäische Strategie für Umweltgesamtrechnung (ESEA)

Um dem wachsenden Informationsbedürfnis im umweltökonomischen Bereich in Europa gerecht zu werden, wird seit 2003 in regelmäßigen Intervallen eine mehrjährige europäische Strategie für Umweltgesamtrechnungen (ESEA) vom Ausschuss für das Statistische Programm verabschiedet, die in Zusammenarbeit mit den Mitgliedsstaaten laufend erweitert und verbessert wird. Die ESEA 2018 (für den Zeitraum 2019-2023) wurde im Februar 2019 vom European Statistical System Committee (ESSC) angenommen. Für den Zeitraum 2024-2028 befindet sich derzeit eine neue Strategie in Ausarbeitung, welche Anfang 2024 in Kraft treten wird.

  

Kommissionsmitteilung zu GDP and beyond vom 20. 8. 2009

Die Europäische Kommission stellte in ihrer Mitteilung vom 20. August 2009 konkrete Schritte vor, die zur besseren Messung der Entwicklung - über das BIP hinaus - beitragen. Unter den fünf als wesentlich genannten Handlungsfeldern findet sich die Forderung der Erweiterung der Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnungen um Umweltaspekte und soziale Themen.

 

Verordnung (EU) Nr. 691/2011 über europäische umweltökonomische Gesamtrechnungen sowie Verordnung (EU) Nr.  538/2014 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. April 2014 zur Änderung der Verordnung (EU) Nr. 691/2011 über europäische umweltökonomische Gesamtrechnungen.

Sowohl im Sinne der Kommissionsmitteilung zu GDP and beyond, als auch gemäß den Bestrebungen der Europa-2020 Strategie, sieht die Verordnung Nr. 691/2011 die Entwicklung einer Datengrundlage für umweltpolitische Entscheidungen vor, in dem ökologische und ökonomische Aspekte miteinander verknüpft werden.

Aufgrund der in den Mitgliedstaaten vorhandenen Datenbasis umfasste die Verordnung anfangs drei Module der Umweltgesamtrechnungen. Dabei handelte es sich um die Module Luftemissionsrechnung (AEA), umweltbezogene Steuern und Materialflussrechnung (MFA).

Die in der Verordnung verpflichtend vorgesehene Entwicklung und Implementierung weiterer Module wurde erstmals durch die im April 2014 erfolgte Veröffentlichung der Verordnung Nr. 538/2014 umgesetzt. Diese neue Verordnung umfasste eine Erweiterung der ursprünglichen Verordnung um die Module Umweltschutzausgaben, Umweltgüter und -Dienstleistungen (EGSS) sowie physische Energieflüsse (PEFA).

 

Umweltgesamtrechnungen und der Europäische Green Deal

Der Europäische Green Deal beschreibt die Wachstumsstrategie der 27 EU-Mitgliedstaaten klima- und umweltbezogene Herausforderungen gemeinsam zu bewältigen und durch eine moderne sowie ressourceneffiziente Wirtschaft bis 2050 als Kontinent klimaneutral zu werden. Dabei ist der Europäische Green Deal auch integraler Bestandteil der Strategie der Europäischen Kommission zur Umsetzung der Agenda 2030 und der UN-Ziele für nachhaltige Entwicklung.

Damit die Ziele des Europäischen Green Deals erreicht werden und die dafür erforderliche Transformation von Gesellschaft und Wirtschaft stattfinden kann, gibt es eine Reihe von Initiativen in den verschiedenen beteiligten Politikbereichen, wie etwa das Europäische Klimagesetz, die EU-Strategie zur Anpassung an den Klimawandel, die EU-Biodiversitätsstrategie oder den EU-Aktionsplan für die Kreislaufwirtschaft.

Die Verfügbarkeit an qualitativ hochwertigen und aktuellen Daten und Informationen, um die Wirksamkeit der unterschiedlichen Initiativen zu monitoren und insbesondere den Zusammenhang zwischen wirtschaftlicher Transformation und Umweltauswirkungen darzustellen, ist dabei essenziell.

Umweltgesamtrechnungen bieten hierfür einen leistungsstarken, vielseitigen Informationsrahmen für die Beschäftigung mit den Nachhaltigkeitsaspekten unseres wirtschaftlichen Verhaltens. Ein Hauptmerkmal von Umweltgesamtrechnungen ist die Integration ökologischer und wirtschaftlicher Aspekte in ein kohärentes System ökonomischer Gesamtrechnungen. Durch die für alle EU-Mitgliedstaaten einheitliche, systematische Herangehensweise bei der Erstellung, ermöglichen Umweltgesamtrechnungen die Bewertung politischer Maßnahmen sowie valide Vergleiche zwischen den Mitgliedstaaten.

Um den Informationsbedarf des Europäischen Green Deals besser abzudecken, wird derzeit von der Europäischen Kommission an der Ausweitung des Anwendungsbereichs der Europäischen Umweltgesamtrechnungen mit den drei neuen Modulen Waldrechnungen, Ökosystemrechnungen sowie Rechnungen über Umweltbezogene Subventionen und ähnliche Transfers gearbeitet.

Die Informationen aus den Umweltgesamtrechnungen werden für die Modellierung und für Prognosen sowie bei der Ausarbeitung von Politikvorschlägen und bei der Berichterstattung über die Umsetzung und Auswirkung politischer Maßnahmen verwendet. Mit den neuen Modulen werden besser integrierte Datensätze für diese Zwecke verfügbar sein.

Die  Eurostat-Visualisierung „Statistics for the European Green Deal“, stellt mittels 26 Indikatoren Fortschritte in den verschiedenen Themenbereichen des Europäischen Green Deals dar und zeigt bereits jetzt die Bedeutung von Informationen aus den Umweltgesamtrechnungen für die Messung und Darstellung der Umsetzung des Europäischen Green Deals und damit auch für die Fortschrittsmessung des achten Umweltaktionsprogramms der Europäischen Kommission.

 

Umweltgesamtrechnungen und das achte Umweltaktionsprogramm der EU

Mit den Umweltaktionsprogrammen legt die Europäische Union für mehrere Jahre die Zielsetzungen der europäischen Umweltpolitik fest. Das achte Umweltaktionsprogramm baut auf dem Europäischen Green Deal auf. Es verpflichtet die Kommission, einen Überwachungsrahmen mit Leitindikatoren festzulegen, der es ermöglicht, die Fortschritte beim grünen Wandel zu verfolgen und der eine strategische politische Kontrolle auf hoher Ebene gewährleistet.

Die Leitindikatoren umfassen auch systemische Indikatoren, welche die Zusammenhänge zwischen der ökologischen und der sozialen Dimension und der Wirtschaft abbilden. Über die erzielten Fortschritte erstattet die Kommission jährlich Bericht.

Die Kohärenz zwischen Leitindikatoren und anderen bereichsübergreifenden Überwachungsprogrammen wird dabei von der Kommission gefördert.

Die Umweltgesamtrechnungen untermauern das achte Umweltaktionsprogramm indem wirtschaftliche Analysen und Folgenabschätzungen auf ihnen aufbauen. Konkret werden auf Umweltgesamtrechnungen beruhende Indikatoren für den aktuellen Überwachungsrahmen eingesetzt.

 

Delegierte Verordnung (EU) 2022/125 der Kommission zur Änderung der Anhänge I bis V der Verordnung (EU) Nr. 691/2011 des Europäischen Parlaments und des Rates über europäische umweltökonomische Gesamtrechnungen.

Um den seit Inkrafttreten der ursprünglichen Verordnung geänderten Anforderungen und Rahmenbedingungen hinsichtlich Umwelt, Nachhaltigkeit und Klimawandel gerecht zu werden, erfolgen mit der Verordnung (EU) 2022/125 Änderungen in den Anhängen I bis V. Dabei geht es vorrangig um die Aktualisierung der darin angeführten Listen von Merkmalen, für die Daten zu erstellen und zu übermitteln sind, sowie der Vorschriften über die Häufigkeit und die Übermittlungsfristen für die Erstellung der Gesamtrechnungen. Die Verordnung (EU) 2022/125 tritt mit Ende Februar 2022 in Kraft. 

Aktuell wird unter der Führung von Eurostat an einer Implementierung drei weiterer Module zur Erweiterung der Verordnung Nr. 691/2011 gearbeitet. Unter Artikel 10 der Verordnung finden sich diese drei neuen Module bereits als mögliche zukünftige Erweiterungsmodule für die Umweltgesamtrechnungen.

Der Entwurf zur Änderung der Verordnung umfasst die Module:

  • Waldrechnungen (forest accounts)

  • Ökosystemrechnungen (ecosystem accounts)

  • Umweltbezogene Subventionen und ähnliche Transfers (environmental subsidies and similar transfers accounts)

Die vorrangige Zielsetzung der Verordnungsänderung ist es, den Anwendungsbereich der europäischen Umweltgesamtrechnungen zu erweitern und damit auch den Informationsbedarf des European Green Deals besser zu decken. Der Green Deal ist eine Wachstumsstrategie, die darauf abzielt, die EU in eine gerechte und wohlhabende Gesellschaft mit einer modernen, ressourceneffizienten und wettbewerbsfähigen Wirtschaft zu verwandeln.

Der Rechtsakt zur Festlegung der neuen Module könnte Ende 2023 / Anfang 2024 nach Abschluss des Rechtsverfahrens durch das Europäische Parlament und den Rat in Kraft treten. 

 

Globale Dimension: SEEA

Auf internationaler Ebene publizierte ein ExpertInnengremium der UN-Statistikabteilung 2003 das Handbuch zum integrierten System umweltökonomischer Gesamtrechnungen (SEEA - System of Environmental and Economic Accounting).

In einem mehrjährigen Revisionsprozess wurde das SEEA von der Statistikkommission der Vereinten Nationen (UNSC) gemeinsam mit der London Group - einer internationalen Arbeitsgruppe von Expertinnen und Experten zum Thema Umweltgesamtrechnungen - überarbeitet.

Nach einem abschließenden globalen Konsultationsprozess, wurde 2012 das überarbeitete SEEA Central Framework  von der UN-Statistikkommission als der erste internationale Standard für Umweltgesamtrechnungen angenommen und 2014 als finale Version veröffentlicht.

Ergänzend wurden von der UN zwei weitere Teile zum SEEA veröffentlich. Die Erweiterung SEEA - Experimental Ecosystem Accounting aus 2014 definiert einen integrierten, statistischen Rahmen zur Organisation biophysikalischer Daten, Messung von Ökosystemleistungen, Nachverfolgung von Veränderungen der natürlichen Ressourcen in Ökosystemen und der Verknüpfung dieser Informationen mit wirtschaftlichen und sonstigen menschlichen Aktivitäten. Obwohl das SEEA - Experimental Ecosystem Accounting nicht den Status eines internationalen statistischen Standards hat, so ist es doch komplementär zu den Rechnungsansätzen des SEEA Central Frameworks.

Die Erweiterung SEEA - Applications and Extensions aus 2017 beschreibt mögliche Anwendungen von Daten, die nach den Konzepten des SEEA - Central Frameworks vorliegen, hinsichtlich Politikgestaltung, Entscheidungsfindung, Analyse und Forschung.

 

Stiglitz - Kommission (Stiglitz-Sen-Fitoussi Report)

Ausgehend von einem unbefriedigenden Status verfügbarer statistischer Informationen über Ökonomie und Gesellschaft wurde 2008 auf Initiative der französischen Regierung unter Nicolas Sarkozy eine Expertenkommission gegründet.

Die vorrangige Aufgabe dieser "Commission on the Measurement of Economic Performance and Social Progress" war es die Grenzen des BIP als Indikator für ökonomische Leistung und sozialen Fortschritt zu identifizieren.

Unter dem Vorsitz von Nobelpreisträger Joseph Stiglitz wurden durch die Kommission zwölf Empfehlungen ausgearbeitet, welche zusätzlichen Informationen erforderlich sind, um geeignete Indikatoren für die Messung des sozialen Fortschritts zu entwickeln.

Nach den Vorstellungen der Kommission soll der Report als Grundlage für weiterführende wissenschaftliche Arbeiten zum Thema betrachtet und im Rahmen von Diskussionen in der Fachwelt weiterentwickelt werden.

 

OECD

In dem 2004 durch die OECD veröffentlichten Dokument "Recommendation of the Council on Material Flows and Resource Productivity" werden Empfehlungen formuliert, im Rahmen der Themen Materialfluss und Ressourcenproduktivität, umweltbezogene und wirtschaftliche Informationen miteinander zu verlinken.

Bei den Empfehlungen geht es vorrangig darum, in länderübergreifender Kooperation, Fachwissen zum Thema Materialfluss verfügbar zu machen, sowie Methoden zur Datensammlung, Messmethoden und Indikatoren hinsichtlich Materialfluss und Ressourcenproduktivität zu entwickeln und einzusetzen.

Aufbauend auf diesen Empfehlungen wurde 2008 die "Recommendation of the Council on Resource Productivity" veröffentlicht, mit dem Ziel die Resourceneffizienz weiter zu verbessern und so negative Umwelteinwirkungen durch Materialverbrauch zu reduzieren.

Der Begriff Ressourceneffizienz enthält dabei eine quantitative Dimension (Menge produzierter Output mittels eines bestimmten Inputs natürlicher Ressourcen) und eine qualitative Dimension (Umweltauswirkungen pro Einheit produzierter Output). Auf diese Weise soll effizientes Ressourcenmanagement zu einem ökonomischen Wachstum und einer Reduktion des Drucks auf die Umwelt beitragen und die langfristige Verfügbarkeit von natürlichen Ressourcen sicherstellen.

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Bericht des Europäischen Rechnungshofs: Europäische umweltökonomische Gesamtrechnungen - Nutzen für politische Entscheidungsträger kann verbessert werden.

2019 veröffentlichte der Europäische Rechnungshof einen Bericht zu seiner Prüfung, ob die Europäische Kommission die europäischen umweltökonomischen Gesamtrechnungen gut eingerichtet, verwaltet und genutzt hat.

Die Prüfung ergab, dass die Kommission keine langfristige Perspektive für den Bedarf an EEEA-Daten (European Environmental Economic Accounts) im Hinblick auf umweltpolitische Entscheidungen entworfen hat. Die Kommission hat weder den EEEA-Bedarf ermittelt noch genau angegeben, welche Indikatoren erforderlich sind. Es existiert zwar eine Strategie für die EEEA, ein umfassender Aktionsplan zur Umsetzung der Ziele fehlte jedoch.

Auf Basis der Erkenntnisse aus der Prüfung hat der Europäische Rechnungshof drei Handlungsempfehlungen in seinem Bericht formuliert:

  1. Verbesserung des strategischen Rahmens für die EEEA-Daten

  2. Verbesserung der Relevanz der EEEA-Module für politische Entscheidungen

  3. Verbesserung der Aktualität der EEEA-Daten

Die Umsetzung dieser Empfehlungen, denen im Bericht mehrere Umsetzungsmaßnahmen beigestellt sind, soll innerhalb der nächsten drei Jahre erfolgen.

 

UNSD: System of Environmental and Economic Accounting Central Framework (SEEA 2012)

UNSD: System of Environmental and Economic Accounting - Experimental Ecosystem Accounting

UNSD: System of Environmental and Economic Accounting - Applications and Extensions

EU: Mitteilung der Kommission - Das BIP und mehr - Die Messung des Fortschritts in einer Welt im Wandel

EU: Verordnung (EU) Nr. 691/2011 über europäische umweltökonomische Gesamtrechnungen

EU: Bericht der Kommission an das Europäische Parlament und den Rat über die Durchführung der Verordnung (EU) Nr. 691/2011 über europäische umweltökonomische Gesamtrechnungen (2022) 

EU: Verordnung (EU) Nr. 538/2014 zur Änderung der Verordnung (EU) Nr. 691/2011 über europäische umweltökonomische Gesamtrechnungen

EU: Delegierte Verordnung (EU) 2022/125 der Kommission zur Änderung der Anhänge I bis V der Verordnung (EU) Nr. 691/2011

EU: Der europäische Grüne Deal

EU: European Strategy for Environmental Accounts 2019-2023

EU: 8. Umweltaktionsprogramm

EU: Website des 8. Umweltaktionsprogramms

EU: Mitteilung über den Überwachungsrahmen des 8. Umweltaktionsprogramms

Stiglitz-Sen-Fitoussi Report: Measurement of Economic Performance and Social Progress

OECD: Resource Efficiency - Recommendations of the Council on Resource Productivity and Material Flows

Europäischer Rechnungshof: Sonderbericht Nr. 16/2019: Europäische umweltökonomische Gesamtrechnungen - Nutzen für politische Entscheidugsträger kann verbessert werden

Statistik Austria: Umweltgesamtrechnungen